Wenn Schule zur Barriere wird

Wenn Schule zur Barriere wird

11. März 2019

Bildungspolitiker reden gerne von „Chancengleichheit“. Tatsächlich müssen Jugendliche mit Migrationshintergrund sich Bildungsgerechtigkeit oft erst schwer erkämpfen.

© Pixabay/geralt 19375 images

Es ist ein warmer Sommernachmittag und die Zeugnisvergabe steht bevor. Laura Islamaj freut sich darauf, denn damit ist klar: Sie ist ein großes Mädchen. Doch Lauras Lächeln verblasst in Sekunden, als die Lehrerin ihr das Zeugnis aushändigt: Sie muss in die Hauptschule. „Wie kann das nur sein, ich hatte doch nur gute Noten.“ Diese und ähnliche Fragen gehen ihr durch den Kopf. Was die Lehrerin dann sagt, soll Laura trösten: „Leider hat es nicht für mehr gereicht.“ Laura ist kein Einzelfall. Szenen wie diese erleben Kinder, deren Eltern nicht in Deutschland geboren sind, viel zu häufig an deutschen Schulen. Laura hatte Glück: Ihre Mutter hatte alle erbrachten Noten akribisch aufgeschrieben. Das Zeugnis spiegelte nicht die erbrachten Leistungen wider. Der Übertritt auf das Gymnasium gelang.

Kinder wie Laura kämpfen täglich mit den verschiedenen Ungerechtigkeiten des Bildungssystems. In ganz Deutschland machten im Schuljahr 2017/18 Jugendliche mit Migrationshintergrund ca. 70% der Schülerschaft auf Mittelschulen aus – Tendenz steigend. Der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund auf Gymnasien stieg von 2016 bis 2018 jedoch nur um 0,1 Prozent – auf insgesamt gerade einmal 4,9 Prozent.

Ein Migrationshintergrund wird nicht als Bereicherung sondern als Defizit wahrgenommen.
Naoufel Hafsa/ Jugendsozialarbeiter der Stadt Würzburg

Du schaffst das nicht. Du kannst das nicht. Das ist zu schwer für dich. Fast jedes Migrantenkind wird diese Sätze auf seinem schulischen Werdegang irgendwann einmal hören. Ayse, die im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie aus der Türkei fliehen musste, erzählt: “LehrerInnen sprachen mir aufgrund meiner damaligen sprachlichen Ohnmächtigkeit jegliche Kompetenzen ab.” Gleich am zweiten Tag in Deutschland wurde sie ins kalte Wasser geworfen und kam in die Schule – unwissend darüber, was auf sie zukommen wird und noch verängstigt von der Flucht. Nicht der deutschen Sprache mächtig, dennoch mit einem klaren Ziel vor Augen: Sie wollte studieren. Trotz der Hindernisse, die ihr in den Weg gelegt wurden, hat sie es heute geschafft. Ayse arbeitet mittlerweile als Energieberaterin bei den Stadtwerken, nebenbei engagiert sich ehrenamtlich als Yogalehrerin. Ayse wurde nicht geholfen, aber sie hilft.

Laut Hafsa findet der Übertritt auf weiterführende Schulen zu früh statt – in der 4. Klasse. Die Kluft zwischen „uns und den anderen“ wächst somit weiter ohne dass die Schüler die Möglichkeit hätten, mit oder voneinander zu lernen. “Wir”: Das sind die Gymnasiasten, die zu 95 Prozent weiß sozialisiert sind. Die “anderen”: Das sind die Mittelschüler, die zu 70 Prozent migrantisch/nicht-weiß sind. Statt miteinander wird an deutschen Schulen also vor allem übereinander geredet. Wie sich das ändern ließe? Hafsa nennt das Prinzip Gesamtschule, in der keine Selektion ab der 4. Klasse erfolgt. Vor allem die Grünen, die SPD und die Freie Wähler sind bereit diese Alternative zu unterstützen, wohingegen die CSU aus ideologischen Gründen dagegen steuert.

Laut Hafsa spielt auch die Förderung von herkunftssprachlichem Unterricht eine große Rolle – wenn die diversen Muttersprachen der Schüler Anerkennung erfahren, überträgt sich das auch auf das Selbstbewusstsein der Schüler. Darüber hinaus hat das Missverhältnis an deutschen Schulen weitreichende Folgen. Es prägt das Gesellschaftsbild. Akademische Berufe werden infolgedessen mehrheitlich von Menschen ohne Migrationshintergrund ausgeführt – das trifft auch für den Lehrerberuf zu. Eine wichtige bildungspolitische Forderung ist es deshalb, mehr LehrerInnen mit Migrationshintergrund für den staatlichen Schuldienst zu gewinnen. Sie bringen größere kulturelle Nähe und Sensibilisierung für die Thematik Migration mit.

Sollten all diese Ideen irgendwann einmal Realität sein, hätten es Menschen wie Fatima in Zukunft vielleicht nicht mehr so schwer. Fatima kam mit 15 Jahren nach Deutschland und wurde in die Sonderschule eingewiesen, weil sie die deutsche Sprache noch nicht beherrschte – dabei ging die aufgeweckte junge Frau in ihrem Heimatland sogar aufs Gymnasium. Fatima musste lange kämpfen, um über Umwege ihr Abitur in Deutschland doch noch absolvieren zu können. Heute studiert sie im Doppelmaster.

#empowerment #zugehörigkeit

  • von Tugba Esen/ Imane El Guennouni/ Laura Ferizaj
  • am 11. März 2019

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