Die Jugend heutzutage

Die Jugend heutzutage

16. Mai 2018

Saide hat dieses Jahr zum ersten Mal an unserer Bundeskonferenz teilgenommen und ihre Eindrücke aufgeschrieben. Ursprünglich erschien ihr Beitrag auf ihrem Blog seidigesaide.blog.

© Astrid Piethan / Junge Islam Konferenz

„Wir freuen uns, Dir heute mitteilen zu können, dass wir Dich gerne bei der diesjährigen Bundeskonferenz der Jungen Islam Konferenz dabei hätten!  Du bist nachgerückt!“

Diese tollen Neuigkeiten erreichten mich vor Kurzem und brachten mich herzlich zum Lachen. Ich hatte mich für einen der begrenzten Plätze bei der Bundeskonferenz der JIK beworben und nach dem Lesen des ersten Satzes machte auch mein Herz einen Satz. Der sollte nicht so lang sein, wie die Buchstabenketten auf meinem Bildschirm, aber dennoch: Mein Herz setzte kurz aus. Freude und Stolz… nun ja, die Freude blieb auch nach dem Satz, der Stolz flaute etwas ab: „Du bist nachgerückt“, hieß es schließlich. Und jeder von uns weiß, was das bedeutet: „Hey, du bist toll, wir wollen dich dabei haben – aber chill, nicht zu freudig: Du bist nachgerückt; so toll bist du also auch nicht.“ Ich verstehe immer noch nicht ganz, wieso ich nicht in der „Du bist bedingungslos toll“-Wolke schweben durfte (vielleicht um meine Zusage noch krasser zu finden), aber ich bin ein sehr gechillter Mensch und finde es einfach nur witzig (liebe JIK, das ist kein Kritikpunkt; im Gegenteil, ich bin super dankbar für diesen Satz. Er hat mir einige Lacher und damit auch Sympathiepunkte bei ein paar anderen Teilnehmer*innen gebracht. Und ganz ehrlich, die habe ich in manchen Situationen wirklich gebraucht.)

Da stand ich also vor diesem langen Anmeldetisch und suchte meinen Namen. Und suchte meinen Namen. Und suchte – „ich bin nachgerückt… vielleicht gibt es da eine andere Liste?“

Gab es nicht. Was auch mehr witzig als schlimm war. Ich durfte die drei Tage einen von mir selbst individuell gestalteten Namenssticker tragen. Das Nachrücken rückte mir ziemlich auf die Pelle. Ich trug es symbolisch und mit viel Herz auf meiner Brust.

Etwas verloren stand ich im Eingangsbereich und sah eine kleine Gruppe von Menschen zusammenstehen und sich unterhalten. Man glaubt es kaum, aber ich bin ein schüchterner Mensch, und so lief ich erst eine Runde durch das Foyer, bis ich mich dann endlich zu den anderen stellte.

„Ich bin mal so frei und stelle mich einfach dazu.“

Ich blickte lächelnd in die Gruppe und ließ mir Fragen stellen bzw. fragte selbst. Die Klassiker natürlich: „Bist du Berliner*in?“ „Aus welcher Stadt kommst du?“ „Was machst Du sonst, wenn du mal nicht auf Konferenzen unterwegs bist?“ Ohne tiefer in Details bezüglich Hobbies oder Familienkonstellationen zu gehen, ging es dann auch sofort ans Eingemachte.

Erfahrung mit Diskriminierung und/oder Rassismus in Schulen/Universitäten, rassistische Werbung, Botschafter*innen-Sein für „die Anderen“, Empowerment und Awareness … bam, bam, bam.

Die Leute hier hatten Ahnung. Und wenn es oftmals auch „nur“ ein Gefühl war, das sich bei einigen breitmachte, war es doch das richtige. Postkoloniale Theorien hin oder her: Zuerst muss mensch offen sein für diese Gedanken, um zu verstehen und dann mit Begriffen zu jonglieren, falls mensch gerne jongliert. Fühlend und reflektierend war mensch um mich herum. Schnell machte sich bei mir Begeisterung breit. Ich war teilweise fast zehn Jahre älter als andere und rückblickend steht für mich fest: Ich war in deren Alter damals noch nicht so weit, wie ein großer Teil der jüngeren Teilnehmer*innen es heute bereits ist.

Und das ist das, was ich für mich mitnehme. Ich könnte, wenn ich wollte, über meine Meinung zu den verschiedenen Ansprachen, Aussagen, Diskussionen von eingeladenen Gästen schreiben, aber ich möchte dem nicht so viel Raum geben. Nein. Auch wenn ich alleine zu Cheblis Rede einige Blogbeiträge verfassen könnte. Manchmal muss man anderen Stimmen Gehör verschaffen. Anderen Menschen eine Bühne geben. Also: Handys aus, Vorhang auf und Spot auf meine Mitstreiter*innen: auf die Jugend heutzutage.

Die Jugend heutzutage kann mitten im Wortgefecht ohne Ankündigung und Anlauf auf heteronormativ-weiß-(männliche) Meinungen spucken. Bestimmt auch beim wilden Snacken von Sonnenblumenkernen oder bei einem kräftigen Ayran-Shot.

Die Jugend heutzutage.
Die Jugend heutzutage mischt sich in alle Themen ein, die sie mehr angehen, als ihnen gesagt wird, und rebellieren mit aller Kraft gegen das, was Privilegienjäger*innen für sich beanspruchen. Sie nehmen sich, was ihnen genommen wird. Brechen aus dem aus, worin sie gesperrt wurden.

Die Jugend heutzutage.
Die Jugend heutzutage muss gefürchtet werden, denn in allem, was sie tut, in allem, was sie sagt, in allem, was sie fühlt, denkt, hört, sieht, schmeckt – wahrnimmt, findet sie wieder, was ihr genommen wurde und bis heute versteckt wird.

Die Jugend heutzutage.
Die Jugend heutzutage hat keine Lust mehr auf den Blick auf die Jugend heutzutage. Sie reflektiert in ihren Reflexionen die Reflexionen Nicht-Reflektierender.

Die Jugend heutzutage.
Die Jugend heutzutage existiert nur in ihrer Vielgestaltigkeit. Ist nicht eins, sondern viel. Ist nicht gleich, sondern verschieden. Ist alles, was ihr abgesprochen wird zu sein.

#begegnung #empowerment #freundschaft #veranstaltung #zugehörigkeit

  • von Saide Keskinkilic
  • am 16. Mai 2018

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