Die Zukunft der Älteren

Die Zukunft der Älteren

26. April 2024

Oft fragen wir unsere Eltern, Großeltern und älteren Verwandten, wie es früher war. Wie sie gelebt und was sie erlebt haben. Was würden sie erzählen, wenn wir sie stattdessen nach ihrer Zukunft fragten? In dem ersten von drei Interviews für unser Magazin bittersüß hat Netzwerkmitglied und Medienakademieteilnehmerin Noura Boubi genau das getan. Sie hat mit Boubeker Azahrai über Wünsche, Träume und die Zukunft gesprochen und ihn porträtiert.

© Noura Boubi
© Noura Boubi

Noura: Hallo, Boubeker, danke für deine Bereitschaft. Magst du dich bitte einmal kurz vorstellen?

Boubeker: Mein Name ist Boubeker Azahrai, und ich bin 56 Jahre alt. Ich bin im Jahr 1989 aus Marokko nach Deutschland gekommen. Da hatte ich schon in Marokko angefangen zu studieren. In Deutschland habe ich dann eine Art Studienkolleg besucht. Obwohl ich mein Abitur bereits gemacht hatte, sollte ich es hier wiederholen. Das war aber gar nicht so schlimm. Nach meinem deutschen Abitur habe ich Elektrotechnik in Duisburg studiert. Damals musste ich aber mein Studium aus finanziellen Gründen abbrechen. Ich habe dann bei Karstadt im Lager angefangen zu arbeiten und habe mich weitergebildet. Mittlerweile bin ich Junior-IT-Spezialist bei Karstadt. Ich wollte auch schon immer Lehrer werden. Das hat auch geklappt. Ich unterrichte die arabische Sprache.

Noura: Danke schön, Boubeker. Wie hast du dir denn deine Zukunft als junger Mann in Marokko vorgestellt?

Boubeker: Um ehrlich zu sein, ich hatte nie vorgehabt, nach Deutschland zu kommen. Mein Vater kam schon in den 1960er-Jahren nach Deutschland. Er gehörte zur ersten Generation. Wir haben in Marokko gelebt und für mich war meine Zukunft in Marokko. Aber so wie das Leben eben ist, passieren Dinge anders. Ich habe mir hier meine Zukunft verwirklicht.

Noura: Möchtest du nach der Rente für immer nach Marokko oder möchtest du in Deutschland bleiben?

Boubeker: Also wenn ich jetzt meinen Vater als Beispiel nehme, würde ich mal sagen: Jein. Mein Vater hat auch immer gesagt: „Sobald ich meine Rente kriege, bin ich weg.“ Und 20 Jahre später ist er immer noch hier. Daher ist es mein Traum, hin und herzupendeln und mein Leben als Rentner zu genießen. Ich möchte meine Familie in meiner Nähe haben. Mein Leben hier komplett abzubrechen und Europa den Rücken zu kehren, kann ich nicht.

Es ist mein Traum, hin und herzupendeln und mein Leben als Rentner zu genießen. Ich möchte meine Familie in meiner Nähe haben

Noura: Meine nächste Frage bezieht sich auf die nächste Generation. Glaubst du, dass Tradition und Religion auch in Zukunft eine Rolle spielen werden?

Boubeker: Wenn ich jetzt nur meine Familie betrachte, würde ich das bejahen. Wir Marokkaner und Marokkanerinnen nehmen immer unsere Tradition mit. Zum Beispiel ist unser Wohnzimmer traditionell marokkanisch. Um einfach das Gefühl von Heimat zu haben. Wir leben unsere marokkanischen Traditionen aus. Traditionen werden nicht komplett verschwinden. Ich kann mir vorstellen, dass es aber weniger wird. Wenn ich jetzt an meine Mutter zurückdenke, hat sie sehr viel selbst gestrickt – Teppiche zum Beispiel. Diese Kunst hat sie uns leider nicht weitergegeben, weil die Gegebenheiten nicht vorhanden waren. Ich glaube daher, dass es einfacher ist, die Religion an seine Kinder weiterzugeben, und ebenso hofft man, dass die nächste Generation diese auch auslebt und an ihre nächste Generation weitergibt.

Noura: Apropos nächste Generation: Wenn du an deine Jugend und an die heutige Jugend denkst, welche Unterschiede erkennst du?

Boubeker: Also wenn ich jetzt an die Schule und meine Jugend denke: Wir haben einfach anders gelernt. Alles war strenger. An meinem ersten Unitag in Deutschland war meine erste Frage: „Wo sind die Zäune? Wo sind die hohen Wände?“ Wir hatten damals extrem viel Respekt vor unseren Lehrern, aber auch Angst. Ich habe heute das Gefühl, dass alles sehr viel lockerer geworden ist.

Noura: Die letzte Frage bezieht sich auf die muslimische Community hier in Deutschland. Was kann sie besser machen?

Boubeker: Wir müssen einfach aktiver werden und Kontakte mit Nichtmuslimen pflegen, wie zum Beispiel am Tag der offenen Tür der Moschee. Leider wird das nicht viel genutzt. Das Ziel ist es nicht, Menschen zu bekehren, sondern aufzuklären und Fragen zu beantworten. Die Religion findet man mehr in den Büchern als in den Menschen. Es gibt einen Unterschied, woran wir glauben und wie wir es ausleben. Darum sind Aufklärung und Offenheit sehr wichtig.

Noura: Danke, dass du hier warst, Boubeker.

Das Interview ist im Printmagazin ‚bittersüß‘ der JIK Medienakademie 2023 erschienen. 

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  • von Noura Boubi
  • am 26. April 2024

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