Mütter haben überall dieselben Tricks

Mütter haben überall dieselben Tricks

8. März 2018

Jana wird in ihrer Heimatstadt von einer Frau nach dem Weg gefragt. Dass sie diese Begegnung so bewegen und zum Nachdenken bringen würde, hätte sie nicht gedacht. Sind wir wirklich so anders, wie wir manchmal annehmen, oder doch viel ähnlicher?

© Soufeina Hamed

Von Jana Rosenfeld

„Anders ist anders, aber nicht schlechter“, ein kitschiger Postkartenspruch und eine der simpelsten Regeln meiner Kinderstube. Derzeit wichtiger denn je. Und doch scheint mir manchmal, dass dieser Spruch ein Resultat meiner blühenden Fantasie sein muss, wenn ich das politische und gesellschaftliche Treiben der letzten Monate in Deutschland und Europa anschaue.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bedenken und Ängste vor Unbekanntem bei allen Menschen vorhanden sind, und dass sie, obwohl sie uns unangenehme Gefühle bereiten, auch schützen. Ängste können nur leider auch zur Belastung werden, wenn es nicht gelingt, sich mit dem Unbekannten vertraut zu machen. Mein Geheimrezept für diese verzwickte Situation: Kontakt suchen. Der ergibt sich oft ganz von selbst.

Neulich, als ich in Lübeck, meiner Heimatstadt, Einkäufe erledigte, sprach mich eine junge Frau an. Sie war mit Taschen bepackt und hielt einen kleinen Jungen an der Hand. Sie wollte wissen, wie sie zum nächsten Bahnhof komme. Die junge Mutter hatte eine andere Hautfarbe als ich, sprach eine andere Sprache und trug ein Kopftuch. Der totale „Pegida-Schreck“. Doch anstatt von Angst gelähmt rumzudrucksen, in eine Richtung zu fuchteln, und schnell die Fliege zu machen, begleitete ich sie zum Bahnhof, der auf meinem Weg lag. Sie erzählte mir, dass sie nach Hamburg wolle, um Freunde zu besuchen und Einkäufe zu erledigen. Während wir gingen versuchte sie mühsam, keine der Taschen zu verlieren, und lächelte mich entschuldigend an. Ich lächelte zurück. „Are you okay?“, fragte ich sie. Sie lächelte mich jedoch nur weiter verlegen an. Der kleine Junge quengelte herum und weigerte sich schließlich weiter zu laufen. Seine Mutter rollte mit den Augen. Sie ließ seine Hand los, ging ein paar Meter weiter und versteckte sich hinter einer Ecke. Dann machte sie eine Geste, die bedeutete ich solle ihr folgen. Keine zwei Sekunden später kam der Kleine um die Ecke geschossen, erleichtert, doch nicht zurückgelassen worden zu sein.

Die junge Frau sah ihren Jungen trotz des Stresses, den sie offensichtlich hatte, liebevoll an. Dieser Blick löste etwas in mir aus: Rührung aber auch Traurigkeit. Rührung, weil ich plötzlich an meine eigene Mutter denken musste, die oft ihre eigenen Bedürfnisse hinter meine gestellt, jederzeit ein offenes Ohr und immer einen passenden Ratschlag bereit hat. Egal welche Hautfarbe, Kultur oder Religion, die Probleme, Sorgen und kleinen Tricks der Mamas scheinen dieselben zu sein. Traurigkeit, weil mir automatisch Bilder von überfüllten Booten auf dem Mittelmeer in den Kopf schießen. Gesichter, die ich nicht kenne, Menschen einer anderen Kultur. Doch sind sie so anders? Sie haben schließlich auch Mütter, die ihnen liebvolle Blicke zuwerfen, so wie die Frau neben mir ihrem Kind, oder die immer für Ratschläge da sind, wie meine Mutter. Erziehung ist sicherlich von Kultur zu Kultur unterschiedlich. Genauso kann sie aber schon innerhalb von Freundeskreisen sehr verschieden sein. Doch ich bin noch nie einer Mutter begegnet, die nicht das Beste für ihre Kinder wollte. Dieser dringende Wunsch nach einer guten Zukunft für die eigenen Kinder verbindet Menschen. Am Bahnhof angekommen, legte mir die Frau eine Hand auf den Arm und sagte: „Thank you Sister“. Danke Schwester. So schnell kann man zu einer Familie werden.

JIK Puzzle
Begegnungen sind wichtig, denn sie zeigen, dass wir ohne Angst verschieden sein können. Deswegen treffen auf der Jungen Islam Konferenz jedes Jahr 40 junge Erwachsene unterschiedlichster Hintergründe aufeinander, um gemeinsam für Vielfalt einzustehen. Um ihre Erfahrungen auch über den Rahmen der JIK hinaus zu teilen, schreiben ehemalige Teilnehmer*innen auf www.wirmachendas.jetzt einmal monatlich über Begegnungen, die sie besonders geprägt haben. Diese Alltagsmomente zeigen wie vielfältig die junge Generation ist und wie unterschiedlich ihre Sicht auf die Welt. Aber eins ist allen Geschichten gemeinsam: Vielfalt ist gelebte Normalität der Generation „Postmigrantisch“.

WIR MACHEN DAS begreift Zuwanderung als Teil einer politisch und ökonomisch verflochtenen Welt. Mit ihren Projekten sollen all jene gestärkt werden, die Migration und Diversität als Chance begreifen und sich für das Ideal einer offenen, demokratischen Gesellschaft einsetzen.
Das Onlinemagazin auf www.wirmachendas.jetzt macht (seit Mitte 2015) Initiativen und Projekte sichtbar, die im Bereich Einwanderungsgesellschaft aktiv sind. Darüber hinaus werden hier vielfältige Geschichten und Debattenbeiträge zum Themenfeld Einwanderungsgesellschaft veröffentlicht.

#begegnung #newcomer

  • von JIK Redaktion
  • am 8. März 2018

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