Framing-Check: „Kopftuchmädchen“

Framing-Check: „Kopftuchmädchen“

23. Januar 2019

Darüber, dass Sprache unser Denken beeinflusst, schrieb bereits Johann Gottfried Herder im 18. Jahrhundert. Ob man es will oder nicht: Gesprochene Worte rufen Bilder hervor, die vor unserem geistigen Auge erscheinen. Da es den meisten Menschen nicht bewusst ist, können Menschen in Machtpositionen das gezielt für sich nutzen. Nicht nur Politiker*innen sind sich dieser Macht bewusst und nutzen sie für ihre eigenen Interessen. Worte können so gezielt zur Spaltung der Gesellschaft verwendet werden. Sie können aber auch für ein Gemeinschaftsgefühl sorgen.

© Thaaks-i

Framing ist ein Begriff aus der Sprachwissenschaft. Beim Framing geht es darum, dass man einen Begriff als Überbegriff für eine Gruppe von Menschen oder Dingen benutzt. Da dieser Begriff die Gruppe einrahmt (Framing eng.=einrahmen) und ihr bestimmte Eigenschaften zuschreibt, bringt man die Gruppe automatisch mit diesem Begriff in Verbindung. So entstehen Vorurteile. Ein Paradebeispiel für versuchte Manipulation ist eine Formulierung Alice Weidels. Bei der diesjährigen Generalaussprache im Bundestag, benutzte Weidel gleich mehrere problematische Begriffe, darunter: „Kopftuchmädchen“. Damit sorgte sie für Empörung im Bundestag und in ganz Deutschland. Denn Bundesbankvorsitzender und SPD-Mitglied Thilo Sarrazin hatte den Begriff 2010 geprägt – und dafür viel Kritik geerntet. Weidel wusste also, in welche Tradition sie sich damit stellte.

Warum der Begriff „Kopftuchmädchen“ problematisch ist:
„Kopftuchmädchen“ wird meist im Plural verwendet. Somit steht der Begriff für alle Frauen, die ein Kopftuch tragen. Der Hörer hat den Eindruck, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, eine homogene Gruppe sind. Irgendeine Gruppe von Frauen als homogene Gruppe zu zeichnen, ist schwierig. Denn es gibt so viele unterschiedliche Geschichten von Frauen mit Kopftuch wie es Geschichten von Frauen ohne Kopftuch gibt. Die Bezeichnung „Kopftuchmädchen“ reduziert Frauen auf ein äußerliches Merkmal. Es nimmt den Frauen Persönlichkeit und Individualität und reduziert sie auf das Kopftuch. Doch Frauen, die ein Kopftuch tragen, sind Menschen und nicht ein Stück Stoff. Außerdem wird der Begriff „Mädchen“ für erwachsene Frauen verwendet. Erwachsene Frauen als Mädchen anzusprechen, ist etwas, was Feministinnen seit jeher scharf kritisieren. „Mädchen“ macht Frauen zu Kindern. Es macht sie klein, hilflos, unterwürfig, unwissend. Mädchen können keine Entscheidungen treffen; sie sind auf Hilfe von anderen angewiesen.
Alice Weidel sagte in ihrer Rede auch, dass „Kopftuchmädchen“ nicht zum Wohlstand und Wirtschaftswachstum beitrügen. Das klingt, als wären alle Frauen, die ein Kopftuch tragen, arbeitslos. Das ist Unsinn. Frauen, die ein Kopftuch tragen, üben in Deutschland die verschiedensten Jobs aus. Sie sind Lehrerinnen, Ärztinnen, Anwältinnen. Manche sind Mütter, manche sind arbeitslos.
Doch selbst, wenn es stimmt, dass muslimische Frauen etwas häufiger arbeitslos sind als nichtmuslimische Frauen: Kann man Frauen, die ein Kopftuch tragen, mit dem gleichen Maßstab messen wie weiße, unbedeckte Frauen? Frauen mit Kopftuch kommen schwerer an Jobs. Jeder dritte Arbeitgeber in Deutschland lehnt Bewerberinnen mit Kopftuch ab. Menschen mit einem ausländisch klingen Nachnamen müssen mehr Bewerbungen rausschicken als Menschen mit einem deutsch klingenden Namen, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Je höher die Positionen, desto schwieriger wird es. Somit ist es nicht fair, alle mit demselben Maßstab zu messen, wenn nicht für Chancengleichheit gesorgt ist.
Zudem suggeriert Weidel mit ihrer Unterstellung, „Kopftuchmädchen“ trugen nichts zum Wohlstand bei, dass sich eine Frau erst als wirtschaftlich profitabel erweisen muss, bis sie Respekt und Anstand verdient hat. Ist das die Art von Gesellschaft, in der wir leben wollen? Diese Ansprüche werden nicht an alle Menschen gestellt und nicht mal an alle Frauen. Den gleichen Anspruch hat Weidel nicht an weiße, deutsche Frauen. Schließlich setzt sich die AfD hier gerade dafür ein, dass Frauen einfach nur Mütter sein können.

Wann und welchen Begriff kann man stattdessen benutzen?
Vielleicht sollte man eher fragen: Ist es überhaupt nötig zu erwähnen, dass eine Frau Kopftuch trägt? Das ist es meistens nicht, denn Frauen, die ein Kopftuch tragen, haben auch viele andere Eigenschaften, anhand derer man sie beschreiben könnte.
Wenn es darum geht, über die Diskriminierung von Frauen zu sprechen, die ein Kopftuch tragen, bevorzugen unterschiedliche Frauen unterschiedliche Begriffe. Die von mir befragten Frauen wählten unter anderem folgende Bezeichnungen: „Hijabi“, „Frau“ oder einfach „Frau, die ein Kopftuch trägt“. Auch hier gibt es so viele Wünsche für Bezeichnungen wie es Frauen gibt.

Doch es gab etwas, in dem sich alle Frauen einig waren: Dass sie nicht auf ein äußerliches Merkmal reduziert werden möchten.

#empowerment #integration #zugehörigkeit

  • von Xenia Hoff
  • am 23. Januar 2019

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