Karrierebremse Kopftuch? Wer wen bremst.

Karrierebremse Kopftuch? Wer wen bremst.

28. Juni 2023

Liegt es an meinem Kopftuch? Oder doch an meinen Qualifikationen?
Kafia hat sich in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema Kopftuch und Chancen auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt und fasst für uns in diesem Blogbeitrag ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Für einige ein altbekanntes Problem, für andere neu: die Sache mit der Jobsuche mit Kopftuch. Oft ist es eher ein Gefühl, dass man als Kopftuchträger:in bei der Arbeitssuche benachteiligt ist. Die vielen Absagen und das monatelange Suchen nach einer geeigneten Arbeitsstelle werfen Fragen auf: Liegt es an meinem Kopftuch? Oder doch an meinen Qualifikationen? Hinzu kommen die medial dominierenden negativ geführten Diskussionen um das Kopftuch, wenn es um Berufsverbote geht. Diese Fragen gingen und gehen auch mir durch den Kopf, sodass ich mich dazu entschied, meine Bachelorarbeit diesem Thema zu widmen. Licht ins Dunkle bringen aktuelle und vergangene Studien, die sich mit der Diskriminierung von Kopftuch Tragenden auf dem deutschen Arbeitsmarkt beschäftigen.

2016 veröffentlichte die Universität Linz eine Studie über die Arbeitsmarktchancen von Frauen mit und ohne Migrationshintergrund und mit und ohne Kopftuch. Hierbei wurden Bewerbungen mit identischer Bildung und Arbeitserfahrungen für eine Stelle als Sekretärin oder Buchhalterin an Unternehmen in deutschen Hauptstädten gesendet. Die Bewerbungen unterschieden sich also nur durch die Bewerbenden selbst: Sandra und Meryem sind als dieselbe Person abgelichtet, wobei Meryem auf einigen Bewerbungsfotos ein Kopftuch trägt. Die Ergebnisse sind alarmierend: Die meisten Rückmeldungen erhielt Sandra (18, 8 %), wobei Meryem mit Kopftuch mit 4,3 % die geringste Rückmelderate hat. Meryem mit Kopftuch muss sich demnach auf eine Stelle 4,5-mal häufiger bewerben als Sandra, um dieselbe Rückmelderate zu erhalten.

Meryem mit Kopftuch muss sich auf eine Stelle 4,5-mal häufiger bewerben als Sandra, um dieselbe Rückmelderate zu erhalten

Doch wie sieht es heute aus? Die Studie ist schließlich sieben Jahre alt und auch in Deutschland hat sich seitdem einiges verändert – vor allem in Hinblick auf die Thematisierung von Rassismus in unserer Gesellschaft. Unter anderem gibt es deswegen einen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor, der Trends und Entwicklungen zu Rassismus in Deutschland erfassen soll. Eine Kurzstudie, die zwischen 2020 und 2021 durchgeführt worden ist, befragte auch Kopftuch tragende Frauen nach ihren Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt. Das Ergebnis: „Hidschab-tragende Frauen geben im Durchschnitt am häufigsten an, in der Vergangenheit Diskriminierungen erlebt zu haben.“ (DeZIM 2023). Darüber hinaus nehmen 48 % der Kopftuch Tragenden bei ihrer Jobsuche an, dass sie aufgrund ihrer Religion Diskriminierungen erfahren könnten, und passen deswegen auch ihre Entscheidungen daran an. So schließen sie etwa bestimmte Ausbildungen (z.B. als Immobilienkauffrau) oder Studiengänge (z.B. Tourismusmanagement) von vornherein aus, weil sie ihre künftigen Berufschancen als zu gering einschätzen. Auch bewerben sich Kopftuchtragende gar nicht erst bei bestimmten Unternehmen auf bestimmte Positionen, die beispielsweise repräsentativ sind. Weiterhin geben über die Hälfte der Befragten an, dass sie gefragt worden sind, ob sie während der Arbeitszeit ihr Kopftuch ablegen würden. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass das Kopftuch im eigenen Unternehmen ein Dorn im Auge ist und dass es als ein lästiges Accessoire ohne weiteren Bedeutungsinhalt für die Träger:in gesehen wird. Dabei gaben 60 % der Befragten mit Kopftuch an, dass es bei ihren Berufswahlentscheidungen zentral ist, ob sie dort ihr Kopftuch tragen können.

Die Ergebnisse dieser zwei ausgewählten Studien stehen exemplarisch für andere Untersuchungen aus diesem Bereich. Auch internationale Studien zu Arbeitsmarktchancen zeigen immer wieder, dass muslimische und muslimisch gelesene Arbeitssuchende im Vergleich zu ihren Mitbewerbenden schlechtere Chancen haben.[1]

Lehrer:innen und andere Angestellte des öffentlichen Dienstes können hiervon ein Lied singen: eine Regelung hier, ein Gesetz da, welches das Kopftuch in der Kita, im Klassenzimmer oder im Amt verbieten will. Nun könnte man meinen, dass diese Berufsverbote nicht die Privatwirtschaft betreffen und dieses Kopftuch tragenden Jobsuchenden somit offensteht. Die oben gezeigten Ergebnisse widersprechen dieser Annahme. Interessant ist auch: Der negative Effekt von Berufsverboten im öffentlichen Dienst auf die Jobchancen in der Privatwirtschaft wurde bereits nachgewiesen. Eine Studie aus dem Jahr 2010 der Türkei zeigt auf, wie das in den 1980ern eingeführte Kopftuchverbot für öffentliche Einrichtungen sich enorm auf die Erwerbschancen von hoch gebildeten türkischen Frauen mit Kopftuch in der Privatwirtschaft ausgewirkt hat. Die mit den Kopftuchverboten beabsichtigte „Modernisierung“ und „Liberalisierung“ der Türkei und damit einhergehende vermeintliche „Emanzipation“ der türkischen Frau führte sogar zum Ausschluss der Frauen aus dem Arbeitsmarkt und brachte sie damit noch stärker in die Abhängigkeit von Männern[2].

Auf dass wir zu Vorbildern für andere werden – so, wie es andere für uns geworden sind

Das Unbehagen als Kopftuch tragende Bewerber:in ist demnach kein irrationales, diffuses Gefühl. Die Diskriminierung einer Kopftuch tragenden Muslima auf dem Arbeitsmarkt ist faktisch vorhanden und kann mit Zahlen belegt werden. Die Studienergebnisse demonstrieren eine offensichtliche Diskrepanz: Qualifizierte muslimische Kopftuchträger:innen möchten arbeiten – verwehrt wird ihnen das wegen anti-muslimischer und rassistischer Denkmuster in der Gesellschaft.

Für uns Betroffene bleibt: trotz aller Widerstände weitermachen und selbstbewusst für uns und andere einstehen. Die Rückbesinnung darauf, wofür und weshalb wir ein Kopftuch tragen, kann hierbei eine starke Kraftquelle sein. Auf dass wir zu Vorbildern für andere werden – so, wie es andere für uns geworden sind. Auf dass wir weiterhin neue und unbekannte Wege beschreiten, bei denen Hürden unvermeidbar, aber zu bewältigen sind – so, wie andere sie vor uns beschritten und bewältigt haben. Auf dass das Unmögliche sichtbar möglich wird.

[1] Di Stasio, Valentina et al. 2021: Muslim by default or religious discrimination? Results from a cross-national field experiment on hiring discrimination, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 47 (6), S. 1305–1326.
[2] Cindoğlu, Dilek 2011: Headscarf ban and discrimination. Professional headscarved women in the labor market, İstanbul: TESEV Publications. Online abrufbar: https://www.files.ethz.ch/isn/135181/headscarf-book.pdf

Quellen:

Weichselbaumer, Doris 2016: Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves, Bonn: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Arbeitspapier Nr. 10217.

Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung DeZIM e.V. 2022: Mit Kopftuch auf Jobsuche, Berlin. https://www.rassismusmonitor.de/kurzstudien/mit-kopftuch-auf-jobsuche/

Di Stasio, Valentina et al. 2021: Muslim by default or religious discrimination? Results from a cross-national field experiment on hiring discrimination, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 47 (6), S. 1305–1326.

Cindoğlu, Dilek 2011: Headscarf ban and discrimination. Professional headscarved women in the labor market, İstanbul: TESEV Publications. Online abrufbar: https://www.files.ethz.ch/isn/135181/headscarf-book.pdf

#integration #rassismus #zugehörigkeit

  • von Kafia Tahir Rana
  • am 28. Juni 2023

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